Mittwoch, 5. April 2017

Detlefs Bericht vom Folk Club 78 am 3. März 2017


Leidenschaft und Sehnsucht – die ultimative Inspiration für die Musik

Es gibt wohl kaum andere menschliche Empfindungen, die mehr dazu angeregt haben, Lieder zu komponieren und zu singen als Leidenschaft und Sehnsucht. Mit solch einem Thema kann man bei den Musikern aus dem Vollen schöpfen.
Und so legte unser Spiritus Rector John Harrison auch gleich mit einem Blues los, der von unerwiderter Liebe handelt: „Police Dog Blues“ von Blind Blake. Auf seiner Resonator Gitarre begleitete John sich dabei mit einer besonderen Technik, die es ermöglicht, Harmonien mit mehr als sechs Tönen zu erzeugen. „Rabbit Hills“ lautete danach der Titel des melancholischen Liedes von Michael Chapman, das, was auch sonst, von der Liebe handelt, einer Liebe, die erst besungen wurde, nachdem sie bereits vergangen war – sehr traurig.
Lustiger, aber nicht minder leidenschaftlich ging es danach mit einer Kinderband bestehend aus 7 kleinen Musikerinnen und Musikern zur Sache. Die Band „Kids For Music Cologne“ (ohne Englisch geht es offenbar nicht) besteht aus Grundschulkindern aus dem Kölner Süden, die musikalisch unter der Obhut von Ralf Wackers stehen. Ralf ist ein alter Bekannter im Folk Club und war schon mehrmals mit seiner Band Currach bei uns zu Gast. Die Kinder sangen und spielten auf ihren Ukulelen, als wenn das ihr Alltag wäre. „Der Löwe schläft heut Nacht“ und „Von den blauen Bergen kommen wir“ regten das Publikum sofort zum Mitsingen an. „Die neue Schule“ war dem Publikum aber sicherlich neu, denn das Lied hatte ein Kind aus der Gruppe selbst geschrieben. Für den schönen Auftritt gab es einen Bombenapplaus, und ich hoffe, kein Geheimnis zu verraten, wenn ich hier schon mal ankündige, dass die Kinder schon bald, sehr bald, wieder beim Folk Club zu Gast sein werden.
Als Herzensbrecher betätigten sich danach die vier Herren Günter Peters, Mario Dompke, Steve Perry und John Harrison mit dem Lied „Ich brech’ die Herzen der stolzesten Frau’n“. Stilecht in Frack und Zylinder gewandet, natürlich mit dem obligatorischen weißen Schal um den Hals sangen sie zu Günters Klavierbegleitung den Klassiker, der einst von Heinz Rühmann unvergleichlich im Film „Fünf Millionen suchen einen Erben“ gesungen wurde. Ob eine der zahlreichen Besucherinnen schwach geworden ist, wurde uns nicht überliefert.
Mario blieb gleich auf der Bühne und Uta Schäfer gesellte sich zu ihm. Ulrich Roskis schräges Lied „Gib mir Feuer“ dichtete Uta gleich in die weibliche Variante um und bat einen heißen Mann um den Gefallen. Bei Roski ging es noch um Feuer von einer heißen Frau. Das gefühlvolle „Book of Love“ von Stephin Merritt – geschrieben für die Gruppe Magnetic Fields, aber bekannt geworden vor allem durch die Interpretation von Peter Gabriel – sangen beide wunderbar gemeinsam zweistimmig zu Marios kunstvoller Gitarrenbegleitung. Welch eine schöne Einstimmung auf unseren nächsten Gast:
Simon Wahl kann sich schon richtig heimisch fühlen im Folk Club, ist er doch bereits das dritte Mal bei uns. Wir dürfen uns aber im Gegenzug als besonders geehrt ansehen, denn Simon ist ein echter Profi und bezaubert mit seinen Gitarrenkünsten, die eine unglaubliche Leichtigkeit ausstrahlen, große Auditorien. Simon, ein Junge aus Bonn, hat in Linz an der Donau bei Prof. Michael Langer Konzertgitarre studiert und das Studium 2015 mit Auszeichnung abgeschlossen. Seither hat es ihn nach Wien verschlagen und er beglückt dort seine Schüler. Ganz nebenbei geht er auf Tourneen und hat für das laufende Jahr über 30 Konzerte und Workshops auf seinem Programmzettel. Wer ihn beim Folk Club verpasst hat oder nicht genug von seiner Musik kriegen kann (oder beides) kann ihn am 30. April im Kulturzentrum Altes Rathaus bei der Oberkasseler Matinee in Bonn-Oberkassel hören – nichts wie hin!
Über die Stücke an sich habe ich noch gar nichts geschrieben – nun, über Instrumentalstücke zu schreiben, ist nicht ganz einfach. Man muss sie einfach hören. Ich kann sie nicht besser beschreiben als der Text über Simons Musik in der Ankündigung der Oberkasseler Matinee:
„Die Konzerte von Simon Wahl sind ein Genuss für die Seele, er wird als ‚Meister der Melodien’ bezeichnet und lässt die Hörer in andere Welten eintauchen. ... Schon einmal Bass Slapping, Percussion, Fingerpicking und Melodiespiel auf einer Gitarre gleichzeitig gehört? Als ‚One Man Band’ verbindet Simon Wahl virtuose Rhythmen mit gefühlvollen Melodien und entwickelt seinen eigenen Stil, einen Crossover von Pop, Rock, Hip Hop und Flamenco. Er entlockt aus seiner Gitarre neue Töne und Geräusche, die man nicht einer einzigen Gitarre zuordnen würde. Was bleibt, ist Zuhören, Genießen und Staunen.“
Ja, genauso war es. Der Saal war mucksmäuschenstill, die Zuhörer schienen atemlos entrückt, und Simons Finger und sonstige Bestandteile seiner Hände hüpften scheinbar mühelos und unfehlbar zielsicher über Saiten, Gitarrenhals und ‑korpus und zauberten Melodien und perkussive Rhythmen, als hätte man eine Gruppe von Musikern vor sich.
Die Namen der Stücke? Sie lauteten: Fernweh, Take it Easy, Passione, Hoffnung, Déja vu, Auf geht’s. Dies waren die Stücke aus eigener Feder. Zusätzlich gab es noch einige Interpretationen von Liedern anderer Meister: Minor Swing (Django Reinhard), eine Kombination von All You Need is Love und Ealeanor Rigby (Beatles) und zuletzt Guitar Boogie von Arthur Smith. Am Ende standen nur noch tobender Applaus und die besten Wünsche für Simons weitere Karriere.
Kann man nach solchen Lobeshymnen eigentlich noch über die weiteren Künstler des Abends schreiben? Man kann, und das bewiesen gleich nach Simon die TangoMusen, eine aus vier Musikerinnen bestehenden Frauenband aus Hennef, Eitorf und Umgebung, die sich dem Tango verschrieben haben. „La Cumparsita“ (Der Karnevalsumzug) ist eine der klassischen Tangomelodien aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, die quasi die zweite Hymne Uruguays darstellt. Mit den Instrumenten Klarinette (Katalin van Riesen), Cello (Sibylle Wollersheim), Akkordeon (Claudia Meyendriesch) und Saxophon (Karin Hüsken) ist die Truppe wunderbar besetzt und zauberte vom Start weg eine tolle Stimmung, bei der nur eins fehlte: Tanzpaare, die in erotischen Figuren lasziv über die Bühne schwebten. Aber genug der ausschweifenden Männerfantasien, weiter mit Musik. „Suerte Negra“ (Schwarzes Schicksal) einst in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts gesungen vom legendären Carlos Gardel, ist ein Vals, also ein Walzer im ¾ Takt, der ebenso wie der Tango und die Milonga zu den typischen Musik-Stilrichtungen Uruguays und Argentiniens gehört. Natürlich geht es im Lied um Liebe und Sehnsucht – aber wir bekamen „nur“ die instrumentale Variante zu hören. Mit „Olé Guapa“ (Hallo Schöne!) setzten die Musen ihren Reigen der Tangoklassiker fort. „Besame Mucho“ (Küss mich ganz doll!) ist zwar südamerikanisch, aber kein Tango. Das Lied, eines der meistgesungenen und -gespielten der Welt, stammt aus Mexiko und ist ein Bolero. Ein weiterer Tangoklassiker hingegen ist „El Choclo“ (Der Maiskolben) aus dem Jahr 1903. Der Titel weist angeblich auf den Spitznamen eines Nachtklubbesitzers in Buenos Aires hin. „Nomade“ ist ein neuerer Tango von Juan Maria Solare, einem Argentinier, der Anfang der neunziger Jahre zu einem Aufbaustudium, man glaubt es kaum, an die Kölner Musikhochschule kam und in Deutschland hängen blieb. Er lebt jetzt teils in Bremen, teils in Köln und ist nun selbst Hochschullehrer. Das Stück hat Solare speziell für sie geschrieben – welch eine Ehre! Und eurem Chronisten hat dieses leicht melancholische und sehr zarte Stück auch wirklich am besten von allen Stücken der TangoMusen gefallen. Etwas für das Publikum war „Kriminal Tango“ von Hazy Osterwald, das ab 1959 mit Ralf Bendix als Hauptsänger die deutschen Radiohörer begeisterte – das Lied begeistert noch immer, und alle sangen fleißig mit. Dass tolle Tangos auch aus dem Norden kommen können, bewiesen die Musen mit „Satumaa“ (Das Märchenland), einem Tango des finnischen Komponisten Unto Mononen. Was euer Chronist auch erst jetzt aus dem allwissenden Internet erfahren hat: Tangotanzen ist in Finnland so eine Art Volkssport, und das bietet natürlich auch eine Basis für Komponisten. Mononen, der sich traurigerweise mit 37 Jahren im Jahre 1968 das Leben nahm, ist eine Ikone unter den Tangoschöpfern Finnlands. Die TangoMusen waren eine Wucht und erhielten einen Riesenapplaus. Vielleicht dürfen wir ja auf eine Neuauflage des Konzerts hoffen.
Wenn Ihr glaubt, mit dieser Fülle an toller Musik sei der Abend ausreichend bestückt gewesen, habt ihr euch getäuscht. Mit einer neu formierten Gruppe von Musikern, die im Folk Club bereits gut bekannt sind, ging es weiter: Die „Passionate Penguins“ bestehend aus den vier Pinguinen Nick Nuttall (Gesang), Christian Schuster und Thomas Monnerjahn (Gitarre und Gesang) und John Hay (Percussion und Gesang) wagten sich bei ihrem Auftritt an zwei Lieder, die von Amy Winehouse in unnachahmlicher Weise gesungen worden waren: Bei „Back to Black“ und „Valerie“ bewiesen sie, dass sie den Liedern eine ganz eigene Note zu geben vermochten. Nick und Christian wechselten sich beim Leadgesang ab, und die übrigen ergänzten mit mehrstimmiger Begleitung – wunderbar. Die Jungs haben es wirklich drauf. Thomas krönte die Vorstellung zudem mit einem brillanten Gitarrensolo bei „Valerie“. Das Set wurde beschlossen mit der pinguinischen Version von „Caravan of Love“, einem Lied ursprünglich von den Isley Brothers und später neu interpretiert von den „Housemartins“ aus Kingston upon Hull in Nordengland. Die Version der Pinguine überzeugte das Publikum, und sie bekamen einen Riesenapplaus – bravo Ihr Pinguine!
Mein Bericht gibt nicht genau die Abfolge der Auftritte wieder, da Simon Wahl und die TangoMusen je ein Set vor und nach der Pause hatten. Dadurch ist beinahe das bezaubernde Lied unter den Tisch gefallen, mit dem Barry Roshto die Zuhörer nach der Pause wieder auf die Musik einstimmte. „Have I Told You Lately“ sang Barry zur eigenen Begleitung auf dem Klavier – ein wunderschönes Liebeslied von Van Morrison, dessen Interpretation von Rod Stewart bekannter ist. Barry braucht sich mit seiner Version hinter denen der Stars aber nicht zu verstecken.
Ja und dann kamen noch die drei roten Pfosten. „Red Peg“ nennt sich die Gruppe bestehend aus Wolfgang Koch (Gesang), Rolf Funken und Wolfgang Schmeil (Gitarren und Begleitgesang). Das Lied „Solsbury Hill“ von Peter Gabriel aus dem Jahre 1977 beschreibt eine spirituelle Erfahrung beim Aufstieg auf einen Hügel in der Grafschaft Somerset im englischen Südwesten, auf dem sich ein vorgeschichtliches Denkmal befindet. Wolfgang Koch gab dem Lied mit seiner tollen, kräftigen Stimme die Seele und die beiden Gitarristen rundeten es gekonnt ab. Was vielleicht manch ein Musikfan beim Hören des Stückes nie mitbekam: Wer aufmerksam den Takt mitzählt, stellt fest, dass das Stück im wenig gebräuchlichen 7/8 Takt geschrieben ist. Ganz am Ende geht es dann in einen Takt mit gerader Schlagzahl über. „Chasing Cars“ von Snow Patrol ist nach Wolfgang K.s Meinung das gezähmteste Leidenschafts-, Liebes-, Ich-verzehr-mich-nach-dir-Lied, das er kenne. Ganz britisch also. Red Peg brachten diese Sehnsucht gekonnt zum Ausdruck. Den Abschluss ihres Sets bildete das U2-Lied „Still Haven’t Found What I’m Looking For“, auch ein Lied über wahre Leidenschaft. Das Publikum ließ es sich nicht nehmen, den Refrain mitzusingen – ebenfalls wahre Leidenschaft.
Echte Leidenschaft bewiesen alle Musiker und das Publikum am Ende auch beim traditionellen Rausschmeißer, dem ollen Schotten Jock Stewart, the man you don’t meet every day.
So ging wieder ein wunderbarer Abend mit vielen musikalischen Edelsteinen zu Ende, und wir dürfen uns auf die 79. Ausgabe des Folk Club Bonn am 7. April 2017 freuen, bei der wir als Featured Artists das Duo „Seltsam“ alias Wolle Moses und Holger Förschler erwarten.

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