Sonntag, 16. Oktober 2016

Marios Bericht vom Folk Club Nr. 73 am 7. Oktober 2016



Olle Kamellen


Bonn liegt im Rheinland – das Rheinland ist bekannt für seinen Karneval – und wer kennt im Karneval nicht den Ausruf „Kamelle“? Und da liegt natürlich der Schluss recht nahe, dass eine „olle Kamelle“  etwas auf der Straße liegen Gebliebenes ist (sei es nun Bonbon, oder Mensch, welcher anstelle von Kamellen denn doch den kleinen Schnapsfläschchen zugesprochen hat). Aber weit gefehlt. Olle Kamellen gibt es nämlich nicht nur im Rheinland, sondern überall und, wer hätte das gedacht, bezeichnen sie eine Kamille (Heilpflanze), die durch zu langes liegen ihre Heilkräfte ganz oder teilweise eingebüßt hat.
Nicht so in der Musik, dort sind olle Kamellen oft gerade die, die durch langes Liegen (hoffentlich meist auf dem Plattenteller), einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, der es Jedem erlaubt mitzusingen. Da aber jedes Land eigene olle Kamellen hat und ebenso jede Region in den verschiedenen Ländern, sind olle Kamellen auch immer wieder Quellen, um Neues kennenzulernen.
Die erste olle Kamelle im Folk Club 73 kannte aber jeder – trotzdem erschrecken sich immer wieder einige, wenn John Harrison mit seinem dezenten Hinweis „Laaaaadiiiiiieeeeees and Gentlemen....“ zum Einstellen der persönlichen Gespräche auffordert und auf den sowohl künstlerischen wie auch gemeinschaftlichen Genuss des Zuhörens und Mitsingens hinweist. Mit seinem ersten á capella gesungenen Lied „A Begging He Can Go“ eröffnete er auch den musikalischen Reigen. Es beschreibt das Leben eines Bettlers, welcher doch eher ein König ist, darf er doch selbst entscheiden, wann er arbeitet (bettelt) oder wann er ruht. Die olle Kamelle verbarg sich hier weniger im Lied (zumindest ich kannte es noch nicht), als in der darin enthaltene Weisheit  – sei mit dem glücklich, was du hast und nicht mit dem unglücklich, was du haben möchtest. Für das folgende „Wee Midnight Hour“ stieg – inzwischen schon Gewohnheit – Paolo Pacifico mit auf die Bühne. Resonatorgitarre und Harp, so soll Blues sein, und wenn dann auch noch mit dem Lied auf Johns wahre Identität (der englischsprachige Nachtwächterführer der Stadt Bonn) hingewiesen wird, bedeutet dies Kultur im Hier und Demnächst. Aber vom Thema natürlich wieder eine olle Kamelle – enttäuschte Liebe, schwere Herzen und das alles zur kalten, nassen Mitternacht. Auch beim dritten Stück blieben John und Paolo der instrumentalen Bluesbesetzung treu und interpretierten „Creole Belle“ in bravouröser Art. Mississippi John Hurt hätte, wie auch andere, die dieses Lied gespielt haben, seine Freude daran gehabt.
Nach seinem Vortrag rollte John das Klavier auf die Bühne und kündigte mit Carol Atwel, eine hervorragende Pianistin mit einer tollen Stimme, an. Schade, dass immer wieder entweder das Klavier zu laut, oder die Stimme zu leise war. Aber mit ein wenig Konzentration konnte die Zuhörerschaft einen Genuss erleben  - mit gutem Klavierspiel und einer Stimme, die es intonationssicher schaffte, auch großen Sprünge in der Melodieführung zu folgen. Mit einem „alten Lied“ von Joni Mitchell begann ihr musikalischer Reigen. Mit dem Prince Lied „How Come You Don't Call Me“ setzte sie ihren Vortrag fort und der ein oder andere aus dem Publikum sang leise mit. Als Abschluss bediente sich Carol aus dem Film Nashville. Der Oscar preisgekrönte Song „Due“ wurde von ihr sehr schön interpretiert.
Nach Carol wurde die Gruppe Grateful Gerbels angekündigt (großartige Beller?) – nur hatte John wahrscheinlich den kurz vor dem Folk Club stattfindenden Mailverkehr nicht mit bekommen. Nick Nutall und Friends haben sich nämlich kurzerhand zu „Passionate Penguins“ benannt. Einer der  Penguins ist John Hay, der mir wahrscheinlich beweisen wollte, dass ich in meinem letzten Bericht nur die halbe Wahrheit gesagt habe, beschrieb ich ihn doch als Gitarristen und er stellte sich diesmal als Cajon Spieler vor. Die Stücke der Passionate Penguins forderten von Anfang an zum Mitsingen auf. Mit dem Richard Thompson Lied „Missunderstood“ wurde der floor spot begonnen und Nick verstand es, die Stimmung durch seinen kraftvollen und emotional vorgetragenen Gesang anzuheizen.  Mit zwei Fairport Convention Stücken ging es weiter und so kam die Besetzung mit zwei Gitarren,  Stimmen und Schlagwerk als Cajon und Tambourin bei dem Lied „Who Knows Where the Time Goes“ gut zur Geltung. Richtiges Gemeinschaftsgefühl kam aber bei „Percy's Song“ auf - durften doch alle mindestens bei den wiederkehrenden Zeilen „turn, turn, turn again“ und „turn, turn to the rain and the wind“ ihrem musikalischen Bewegungsdrang nachkommen und lauthals (und teilweise auch mehrstimmig) mitsingen.
Als nächster Act kamen dann schon die ersten featured artist des Abends auf die Bühne. Die „Bluegrass Guerillas“. Heißt es zwar Nomen est Omen, bedurfte es bei diesem Namen den doch einer kleinen Erklärung, die dann jedoch so logisch war, dass ich mich fragte, warum ich nicht gleich darauf gekommen bin. Mit kurzen, spontanen Auftritten in der Rheinaue, als Bandproben getrant, begeistern sie hin und wieder jeden der vorbei kommt. Da diese Konzerte so kurz sind, dass sie auch die Strassenmusikantengebühren zu umgehen verstehen, erscheinen sie wie eine Guerilla Taktik und deshalb....... Mit dem Song „Friend of the Devil“ begann das blauschimmernde Gras zu blühen (Der Name Bluegrass entstand aus einer der ersten Bluegrass Gruppen – Bil Monroe and the Blue Grass Boys – was nichts anderes bedeutete, als dass Bill Monroe mit einigen Musikern aus dem Blue-Grass State Kentucky zusammen gespielt hat (vor allem mit Earl Scruggs, der den unverkennbaren, schnellen drei Finger Style des Bluegrass geprägt hat). Und der fruchtbare Boden von Kentucky bringt nun einmal das mit blaugrünen Blättern versehene Wiesen-Rispengras hervor). Noch immer allgemeiner nach Country als speziell nach Bluegrass klang danach das Johnny Cash Stück „Further up on the Road“, bevor es dann mit „Take Me on Your Life Boat“ so richtig abging Nun blieb niemand mehr ruhig und neben dem unwiderstehlichem Drang mitzusingen wippten auch fast alle Füße im treibenden Takt mit. Um es vorweg zu nehmen – die Bluegrass Guerillas kamen in der zweiten Folkclubhälfte wieder auf die Bühne und machten dort weiter, wo sie aufgehört hatten. Ich hatte sogar den Eindruck, dass der Applaus der ersten Hälfte ihnen weiteren Antrieb gegeben hatte – denn, dachte ich bei den ersten beiden Stücken noch „mmh son bisschen mehr drive könnte schon noch dazukommen“, so ging es nun so richtig ab. Ob reiner Bluegrass, ob eher Oldtime Contry Schnulze, weder die Guerillas noch das Publikum waren zu halten. Bei „Rolling in My Sweet Baby's Arms“ (ein Stück von jenem bereits erwähnte Earl Scruggs) wurde nicht nur mitgesungen, sondern – echt country like – es kamen auch neue Stimmen, terz- und oktaveversetzt, hinzu. Dann ein Stück mit weiten Instrumentalpassagen „Country in My Genes“ und  zur Beruhigung das schnulzig angehauchte „If I Needed You“ - die Guerillas hatten ihr Publikum in der Hand. Trotzdem kam noch eine Steigerung. Das barber shop like begonnene „Over in The Glory Land“, welches sich dann wieder zu einem fulminanten Bluegrass auswuchs, kann getrost als ein Höhepunkt bezeichnet werden. Wen wundert es, dass das Publikum eine Zugabe verlangte, die dann mit den Worten „noch 'ne Schnulze“ angekündigt und mit dem Song „Sweet Carolina“ wahrgemacht wurde. Ich kann nur jedem empfehlen, sich auf der E-Mail Liste der Guerilla einzutragen, um bei Gelegenheit ein Guerilla Konzert am Rhein mit zu erleben.  
Was macht Musik so interessant – selbst innerhalb nur eines Liedes. Es sind die Breaks, die unerwartetes bringen und Spannungen immer wieder neu aufbauen. So auch beim Folk Club. Mit Tom Kannmacher kam ein Break der es in sich hatte. Aus treibendem Country wurden ruhige professionell vorgetragene Balladen aus deutscher Geschichte. Volkslieder in reinster Kultur zu einem alten Instrument, welches als Kreuzung der deutschen Laute mit Harfe und weiteren Instrumenten vorgestellt wurde, erinnerten uns alle an Zeiten, in denen noch kein TV den Abend verkurzweilte und  die Menschen noch gezwungen waren sich gegenseitig Geschichten zu erzählen und/ oder bei gemeinsamen Liedern zu träumen. Mit dem Auswanderungslied „Nun ist die Zeit und Stunde da“ aus der Eifel griff Tom ein brandaktuelles Thema auf. Nur, dass heute aus unserer Sicht die Auswanderung eine Einwanderung anderer zu uns ist. Aber gleich bleibt, dass die Vorstellung vom besseren Leben oft anders als die Realität ist. Mit dem Stück „Ich steh' auf hohem Berge“ kehrte er sich wieder dem  ebenso emotionalen wie auch am meisten in der Musik genutztem Thema, der Liebe, zu. Wie martialisch so manches Liebeswerben zuging beschreibt in diesem Lied die Zeile „und schickst du die Nonne nicht heraus, so brenne ich das Kloster ab, dann kommen alle raus“ (na ja, ist nicht genau der Text, aber sinngemäß schon). „Es hat ein Frost gedrücket“ ist ein Wanderlied, dass, wie Tom erläuterte, voller Symbole der deutschen Liedkunst steckt. Die Eiche, der kühle Brunnen oder der singende Vogel, alles Metaphern für Bedeutungen, die einerseits Liebe andererseits Gemeinschaft oder Ehre beschreiben. Das Lied hat in seiner Überlieferung keine Melodie, weshalb Tom eine Moritat hernahm, auf die der Text passte. Mit der gesungenen Geschichte „Es reiste eine Jungfrau“ beendete Tom die erste Hälfte des Folk Cclubs und entließ das Publikum für eine Pause an die frische Luft. Auch hier springe ich in die zweite Hälfte. Tom kam nach den Bluegrass Guerillas auch ein zweites Mal auf die Bühne und gab offenherzig zu, dass er es nun wohl schwer hätte, mit seiner eher ruhigen Musik das kochende Publikum wieder einzufangen. Jedoch wäre Tom nicht Tom und ein langjähriger Profi, wenn er das nicht schaffen würde. Außerdem ist der Folk Club Bonn nun mal der Folk Club Bonn und deshalb möchte ich es nicht versäumen, an dieser Stelle dem Publikum ein wiederholtes Lob auszusprechen – ihr seid wirklich ein wertvolles, dankbares und diszipliniertes Publikum, das nicht nur unterhalten werden will, sondern echtes Interesse zeigt.
Angefangen hat Tom seinen zweiten Teil mit der „Ballade vom Wassermann“, die es in vielen Versionen über ganz Deutschland verteilt gibt. Doch immer ist es das gleiche Thema, nämlich, wie ein Wassermann eine Sterbliche freit und die Liebesgeschichte in der Tragödie des Ertrinkens der Maid endet. Ähnlich fatal der Inhalt des nächsten Liedes in dem der „König und Marquise“ zusammentreffen und dem König die wunderschöne Frau des Marquises gefällt, dieser, da nur Marquise, dem König selbige zur Verfügung stellt. Na ja, ob das das richtige Frauen- oder Obrigkeitsbild ist? „Ich will mich umschauen nach Tint und Papier“ beschrieb als nächstes Lied den nicht sehr diplomatisch gestalteten Abschied eines Mannes von seinem Schatz. Einfach einen Abschied aufs Papier geschrieben und an die Tür geheftet, ist ja nun nicht die feine Art, sich zu trennen. Ob das wohl der Marquise gewesen ist, der nun seine eigene Frau verschmähte? Ebenfalls vom Abschied – aber nur vorübergehend -  berichtet die Ballade „Schönster Schatz auf dieser Erde“, beschrieben auch als „Abschied mit Versicherung der Treue“. Ja, damit wollte Tom von der Bühne gehen, jedoch wie sehr er Profi ist und es verstand das Publikum nach Bluegrass wieder zurück zu gewinnen, zeigte der vehemente Wunsch nach einer Zugabe. Diese gab Tom auch mit einem seiner Lieblingslieder „Das Mädchen, das ich liebe“. Wenn ein Abend von soviel Liebe erzählt, dann fragt man sich schon manchmal, warum die Welt oft nur grausam ist. Versinken wir also immer wieder in die Umarmung von Musik und versuchen wenigsten eine kurze Zeit allem Kummer zu entfliehen.
Nun aber ein Sprung zurück in den tatsächlichen Ablauf des FCB Abends. Gefühlt kaum begonnen war die Pause schnell vorbei und Jutta Mensing stimmte in gewohnter Animationsabsicht einen gemeinsamen Kanon an „Hejo, spann den Wagen an“ ist zwar ein Erntelied, aber viele kennen es doch besser als Protestlied der AKW Bewegung. Daniel Bongart übernahm das nun wieder auf Singen eingestellte Publikum und spielte, begleitet von seiner Mandoline, den Glen Hansard Song „Lowly Deserter“. Die treibende Mandoline fand ich ganz toll, stellte sie doch als Begleitinstrument alleine gespielt mal etwas ganz anderes als das bekannte Gitarrenspiel als Begleitung dar. Mit einem eigenen Lied „Where Are You“ bewies Daniel, dass er nicht nur covern kann, sondern selbst ein guter Komponist und Texter ist. Bei seinem eigenen Lied kam dann doch wieder die gute alte Klampfe zu Ehren. Der Text zu dem Lied ist erst kürzlich fertig gestellt worden, weshalb umso mehr zu bewundern war, dass das Lied sehr professionell vorgetragen wurde. Einen Höhepunkt für den Folk Club – wenngleich einem eher traurigem, allerdings mit gutem Hintergrund – bot das letzte Lied von Daniel – denn hierfür holte er sich unseren Kameramann (und kontinuierlichen Musiker) Janero del Rosario zu sich. Beide interpretierten dann Bob Dylans „Forever Young“, bei dem das Publikum lautstark mitsang. Ach ja, Janero war vorläufig zum letzten Mal beim Folk Club, da er beruflich nach Darmstadt geht – wir wünschen ihm alles Gute und viel Glück – wissen wir doch auch, dass er am ersten Freitag des Monats sicher oft den Abstecher nach Bonn machen wird.
Als letzter Berichtspunkt kommt wieder einmal Sebastian Landwehr zu Ehren. Sebastian kündigte selbst an, dass seine „ollen Kamellen“ noch gar nicht so oll sein können. Spielt er doch fast ausschließlich eigene Lieder und die können halt höchsten 28 Jahre alt sein. Also begann er mit seinem ersten selbstgeschriebenem Lied „Die Wogen“, in dem er den Verlust von Idealen bzw. die Traurigkeit über nicht realisierte Ziele besingt – aber Sebastian hat ja glücklicherweise noch viel Zeit in seinem Leben, um neue Ziele zu setzen und zu verwirklichen (hoffentlich gehören dazu weitere so tolle Lieder). Der Folk Club, ich habe es schon oft gesagt, ist auch ein Ort der Gemeinsamkeit und immer wieder finden sich neue musikalische Freundschaften zusammen. So holte Sebastian schnell die Freunde der Gruppe „Zwei von Zwei“ mit auf die Bühne (Ulrike Maria Hund und Stephan Weidt) und spielte mit den beiden seine Song „Ganz bei dir“, welcher auch wieder die Liebe beschreibt, nämlich die Aussicht, dass er nach noch einigen Erledigungen in seinem Leben bald ganz bei ihr sein wird. Sehr schön, wie hier die zwei Gitarren sich Melodieführung und Rhythmus teilten und der Gesang durch die Querflöte unterstrichen wurde. Mit seinem letzten Lied  „Die kleine Feder“ griff Sebastian noch einmal in seine eigene Vergangenheit. Es ist ein Lied, das er ursprünglich für seine Irish Band geschrieben hat. Natürlich forderte dieses Lied wieder zum Mitsingen auf und das ganz einfach – nur ein Vokal mit Melodie musste gesummt oder gesungen werden. So wurde es auch ein richtiger Spaß für alle Zuhörenden.
Tja, nachdem ich die folgenden featured artists bereits oben beschrieben habe, bleibt nur noch zu sagen, dass der Patron des Folk Clubs diesmal á capella den Ausklang des Clubs einläutete. Jock Stewart ist und bleibt das Wahrzeichen des Folk Clubs Bonn und macht Appetit auf den nächsten Club – also, wir sehen uns wieder am 04. November 2016 im Sträters.

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