Mittwoch, 30. März 2016

Marios Bericht von FCB Meet Nr. 67 März 2016

Achterbahn der Emotionen?

Völlig untypisch für mich, habe ich mir sehr viel Zeit gelassen, um diesen Bericht anzugehen. Warum? Ehrlich gesagt – darüber bin ich mir immer noch nicht ganz im Klaren. Ich habe ein zwiespältiges Gefühl, was meine eigene Reaktion auf die emotionale Unterschiedlichkeit der Künstler des vergangenen Folkclubs angeht. Aber dazu im Bericht gleich mehr.

Laaadies and gentlemen...... - das Karussel begann, und wie immer begann es mit dem Zeremonienmeister himself John Harrison. Wie häufig lebte er den Blues nicht nur in der musikalischen Darbietung, sondern auch in der Gesellschaftsform – drücke aus, was du fühlst und teile dies mit Gleichgesinnten. Und so kam der wohlbekannte Kämpe Paolo Pacifico mit auf die Bühne – natürlich in Begleitung seiner vielfältigen Mundharmoniken, die er nicht nur von Stück zu Stück wechselt – nein, auch während eines Stückes greift Paolo ganz lässig in seine Tasche, zieht eine Mundharmonika in einer anderen Stimmung heraus und spielt weiter – eben genau die Töne, die in der Ursprungsstimmung nicht ins Publikum geschmettert hätten werden können. Ein wenig erinnert mich Paolo dann immer an Bruce Willis (ich hoffe er nimmt mir diesen Vergleich nicht übel), der in ausweglosen Situationen dann doch noch ein As (oder eine Waffe, oder eine Auto oder eine Flugzeug) aus dem Ärmel zieht :-). Nun ja, auf alle Fälle wurde so der Blues von John emotional angereichert. „From Four Until Late“ handelt zwar von der immer wiederkehrenden Geschichte zwischen Mann und Frau (oder eher zwischen Männern und Frauen) – das Thema des Abends lässt sich aber auf vielfältige Weise herauslesen. Zwischen 4 und spät in der Nacht scheinen Sterne, die angehimmelte Frau ist ein aufgehender Stern (insbesondere, wenn, wie im Lied beschrieben, ein Mann durch ihre Unterwäsche kriecht und so weiter und so weiter. Das zweite Lied drehte diese flüchtigen Sterne in einen langanhaltenden strahlenden Stern: „I Wasn't Expecting That“ erzählt von einer gedachten kurzen Affäre, die dann doch in einer lang anhaltenden Ehe endet – mit Kindern, Haus und allem drum herum, aber es wäre kein Blues, wenn nicht doch noch alles schrecklich endete – Blues ist halt das wahre Leben und so erlischt auch in diesem Lied ein Stern. Das Thema des Abends direkt ansprechend rezitierte John dann Shakespeare mit dem Sonnet XIV und erzählte im folgenden Lied sowohl von den Sternen, wie auch von seiner Beschäftigung in Bonn als englischsprachiger Nachtwächter-Stadtführer (Night Watchman Blues). Mit dem „St. James Infirmary Blues“ beendete John gemeinsam mit Paolo die Einleitung.

John als Moderator sollten wir noch häufiger am Abend zu Gesicht bekommen – Paolo indessen blieb auch als Musiker gleich auf der Bühne. Mit einem neuen Folkclub Rekord konnte er aufwarten. Noch nie zuvor (im Folkclub) hat ein Musiker spontan oder vorbereitet in so vielen unterschiedlichen Formationen gespielt. Auch das Emotion pur (da ist das Thema wieder). Gemeinsam mit Nick Nutall, John Hay und Christian Schuster verbreitete er Emotionen pur. Einfach in der Darbietung, schafften sie es, das Publikum mit bekannten Bob Dylan, Donovan und Gordon Lightfoot Songs zum mitsingen zu animieren. Einfach schrieb ich, aber nicht einfallslos, denn was zwischen den Mitsingteilen an kleinen Gitarrensoli von Christian oder Harpeinlagen von Paolo geboten wurde war wirkliche Klasse. Dann die Stimme und Stimmführung von Nick und die unaufdringliche Zweistimmigkeit der Gruppe – hier zeigte sich, dass Einfachheit wesentlich mehr sein kann als Lagerfeuerromantik. Und das Thema des Abends wurde auch getroffen In „Baby, Stop crying“ ist einmal von der Sonne dir Rede, „Knocking on Heaven's door“ spricht von einem Himmelskörper direkt (oder war die Himmelstür doch etwas anderes?); „Catch The Wind“ ist ja ein Spiel, welches sich zwischen den Himmelskörpern abspielt und „The Circle Is Small“ - nun wahrscheinlich sind die besungenen Augen wie Sterne.

Die Heimat des Folkclubs Bonn ist nicht umsonst das Haus Müllestumpe – gibt es auch immer mal wieder unterschiedliche Auffassungen in Details der Zusammenarbeit, so ist doch eines klar – das gemeinsame Ziel, eine Welt des Zusammenhaltes ohne Vorurteile gegen einzelne Gruppen und die Gestaltung des Weges zum Ziel mit viel Kreativität wird in beiden Formen der Arbeit zum Ausdruck gebracht. Nachdem im letzten Folkclub Christian Storm, der Geschäftsführer für den Bereich „Betreutes Wohnen“ über die Arbeit des Hauses berichtete, ergriff diesmal Peter Kurenbach vom Vorstand die Gelegenheit, um die kreative Seite darzustellen. Welche Aktivitäten in wie vielen kleinen und größeren Werkstätten im hinteren Teil des Hauses stattfinden, sieht der „normale“ Besucher des Restaurants gar nicht. Malen, Töpfern, Holzschnitzen oder auch noch nicht ausgediente, aber nicht mehr funktionierende Geräte im Repair Cafe wieder in Schuss bringen – die Angebote sind vielfältig, werden aber alle von den Teilnehmenden mitgestaltet. Auch die Geschichte, wie aus einem dem Abriss preisgegebenen Haus eine Heimstatt für soziales Engagement wurde, sollte jeder Besucher einmal betrachten – Hut ab und auch weiterhin viel Mut und Glück beim Beschreiten unkonventioneller Wege.

Nach dieser froh- und nachdenklich stimmenden Erläuterung betrat die „Featured Artist“ die Bühne. Lauren Napier. Extrem vielfältig - als Model (Punk Rock Doll), als Konzertmanagerin, Journalistin, Kurzgeschichtenschreiberin und Cellistin - präsentierte sie sich im Folkclub natürlich als Songschreiberin und -sängerin. Lauren lebt zurzeit in Berlin und von dort war sie direkt angereist – mit Verspätung, dem Fernbusbetrieb sei es gedankt. Entsprechend noch leicht angespannt, betrat sie die Bühne und erzählte ein wenig über sich – unter anderem, dass sie Cellistin ist und die Gitarrenbegleitungen zu ihren Lieder sehr einfach ausfallen würden. Dann begann sie zu singen – eine wahnsinnig ausdrucksstarke Stimme, die das einfach Gitarrenspiel in den Hintergrund drückte. Die sanft mit den Fingerkuppen gestrichenen Akkorde dienten lediglich zur Untermalung der Stimmführung. Soweit toll – aber, und das schreibe ich hier nicht als Negativum, sondern einfach als Ausdruck meiner Verwirrung, wo war die Emotion des Auftritts? Das ist der Grund, weshalb ich erst heute den Bericht schreibe - ich wollte Abstand von meinem Gefühl gewinnen. Ich war regelrecht traurig, weil ich dachte, wie können so schöne Lieder, ausdrucksstark vorgetragen mit einer so schönen Stimme bei mir den Eindruck hinterlassen, dass es sich um eine Aneinanderreihung von Liedern handelt, ohne das eine Beziehung zum Publikum aufgebaut wird. Habe ich zu Beginn noch gedacht, es läge an dem Stress der verspäteten Ankunft, so wiederholte sich mein Gefühl (wenn auch abgeschwächt) in der zweiten Hälfte des Folkclubs. Ich gebe zu, ich muss wohl noch länger darüber nachdenken und wahrscheinlich auch Lauren häufiger live erleben – vielleicht werde ich dann das Besondere gerade an dieser Vortragsform entdecken, vielleicht den Zusammenhang mit einer distanzierten Professionalität als Model – vielleicht werde ich dann ein glühender Fan eben dieser Art des Vortrages. Im Moment konzentriere ich mich noch lieber auf die Lieder als auf den Vortrag, denn diese sind einfach toll. Tiefe Lyric, ausdrucksvolle Metaphern und das Aufgreifen von Themen – alles was ein gutes Liedermacher/ Singer-songwriter Lied braucht. Mit ihren Songs „Windowsill Of Romantic Ponderings, Caught In Between, Worthwhile, Echoes of Regret, Freundian Slip und Suitor In A Black Cape“ hat Lauren nur einen kleinen Ausschnitt ihres Schaffen gezeigt, aufgeschrieben in einem kleinen Notizbuch, welches den Eindruck erweckte immer dabei zu sein, um jeder Idee sofort einzufangen.

Dann Frischluft – notwendig, weil der Folkclub immer so gut gefüllt ist, dass eine Pause angeraten ist. Doch nach einigen Atemzügen (für die Raucher mit Qualm :-) ) erklang bereits wieder Klaviermusik aus dem Haus. Barry Roshto schaffte es in seiner kaum nachahmbaren Art durch einfaches, langsam anschwellendes und Schritt für Schritt aus einem improvisierenden Klimpern auf konkrete Musikstücke hinsteuernden Klavierspiels das Publikum nicht nur zurückzuholen, sondern auch in eine Konzentration für die nachfolgenden Vorträge zu bringen. Mit dem Stück „If I Said You Had A Beautiful Body Would You Hold It Against Me” vollbrachte er nicht nur dieses Kunststück, sondern gab auch noch eine Lehrstunde in Hamronielehre (VI-II-V-I ist eine typische Akkrodreihenfolge für Jazzharmonik: „Blue Moon" & "Stars Fell on Alabama") - und Himmelskörper waren auch enthalten: Engel, Körper, Sonne, Mond und Sterne........

Steve Perry unterstützte das Thema „Himmelskörper“ mit „All Through The Night“ in Walisischer Sprache, (Ar Hyd Y Nos), wobei es sich um die Sterne als Himmelspforte und als Trost für alte Menschen handelt. Schade, dass niemand das Walisische verstehen konnte. Wieder voll konzentriert durfte das Publikum nun Sebastian Landwehr lauschen – der Musiker, der nach dem Studium wieder zurück nach Bonn kam, um seine treue Gefolgschaft dem Folkclub zu erweisen (hatte sicherlich auch andere Gründe:-) ). Mit den Liedern „Sag mir alter Mann“ (Noch immer wird viel Hoffnung auf Antworten aus der Lebenserfahrung von Menschen gelegt), „Muss jetzt geh'n“ (hier wird beschrieben, wie die Rückkehr von Sebastian nach Bonn begann) und Hey Freunde“ (Halt ein Lied über Zusammenhalt und Freunde) zeigte er ein umfangreiches Spektrum seines Könnens und bewies, dass Lieder aus jedem Gefühl etwas machen können. Wenn ich sprachlos bin, dann singe ich und wenn es das Lied, welches passt nicht gibt, dann schreibe ich es. Das ist Liedermachertradition, in der auch das Werken von Sebastian beheimatet ist.

In zwei aufeinandert folgenden Folkclubs auftreten – nein, das geht natürlich nicht, dazu ist der Andrang von Künstlern zu groß – aber wenn ein Künstler Musiker bei verschiedenen Formationen ist, dann kann es schon vorkommen, dass einzelne Gesichter auch zweimal hintereinander auftauchen. Diese Regel beherzigend hat Dennis Ledermann sich kurzerhand seinen Bruder gespannt und erklomm mit ihm die „Bühne“. War es schon großes Kino ihn solo zu hören, so hat das Duo der Ledermann Bros dies noch übertroffen. Mit einem Dennis Song „Circles“ begann der Reigen. Natürlich durfte dann ein Marvin Ledermann Stück (Nightwatch) nicht fehlen – und hier waren dann auch die Himmelskörper beheimatet. Aber auch das Kunststück aus Coversongs etwas eigenes zu machen beherrschten die Zwei. Den „Lieblingsmenschen“ von Namika brachten sie bravourös, so dass das Stück zwar erkannt wurde, aber zu einem Ledermann wurde. Eine Zugabe wurde nach dem brausenden Applaus Pflicht, die mit dem Song „I See Fire“ auch gegeben wurde. Mal schauen, welche Familienmitglieder zum nächsten Folkclub gefunden werden :-).

Gedichtzeit ist seit einigen Folkclubs eine gute Tradition, um das gesamte Spektrum des Liedermachens aufzuzeigen. Ich habe (in früheren Jahren) lange gebraucht, um meine Enttäuschung, bei dem Liederbuch „Des Knaben Wunderhorn“ zu verwinden, dass ich nicht eine einzige Melodie gefunden habe. Aber wer sich mit der Materie beschäftigt weiß schon lange, Lieder sind eine Ausdrucksform Texte/ Inhalte in gesungener Form dem Zuhörer nahe zu bringen – das dies mit eigenen Melodien zu geschehen hat, ist erst eine Erfindung der Neuzeit. In diesem Sinne rezitierte Christoph Thiebes ein Gedicht von Ringelnatz und zeigte dem erstaunten Publikum wieder einmal, dass die Form der Mitteilung über Gedichte, die wir in der Schule fast alle mehr oder weniger gehasst haben, sehr viele Möglichkeiten zeigt, Emotionen zu schildern, aber auch versteckte Botschaften zu transportieren.

Mit einem Kuss als Starthilfe ermuntert (zwar nicht von Maria, sondern von Regine) brachte Bob Marabito die West Side Story in den Folkclub. Bob, der immer gut für Überraschungen und vor allen Dingen nicht auf bestimmte Bereiche festgelegt ist, besang mit „Maria“ einen klingenden Himmelskörper („All the beautiful sounds of the world (also auch der von Himmelskörpern) in a single word“. Warten wir auf die nächste Überraschung von Bob.

Den zweiten Teil des Featured Artist Auftritts von Lauren Napier habe ich bereits oben mit beschrieben. Bliebe zu sagen, dass die kurze Erholung im Folkclub nach der Busfahrt sich schon in einer besseren Entspanntheit von Lauren äußerte.

Finale durfte auch diesmal nicht fehlen. Der Gutsherr Jock Stewart besungen von allen – ohne Ausnahme – beendete nicht nur das Programm, sondern lud auch gleich wieder für den 1. April ein, wenn es um Aprilscherze geht („Joke“ Stewart?)

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