Mittwoch, 10. September 2014

50 Jahre Bonner Folkclub! – Hääh?

Mit einer liebevoll handbeschriebenen und künstlerisch gestalteten Kreidetafel begrüßte der Gastgeber des Folkclubs, das Haus Müllestumpe, die ankommenden Gäste. Mein vorsichtig geäußerter Hinweis, dass es sich doch um den 50ten Folkclub und nicht um 50 Jahre Folkclub handle brachte den Tafelmaler zwar nicht um den Verstand, stellte ihn jedoch vor die Herausforderung diese Tatsache in richtige Worte zu fassen.

Es hat geklappt, denn pünktlich um 18:00 Uhr stand eine wohlgeordnete Schlange von Musikern und Publikum bereit, um den Jubiläumsmarsch zu starten. Tatjana und Ralf trugen als große Menschen (sowohl als Musiker wie auch biologisch betrachtet) das eigens für diese Gelegenheit von Emily handgemalte Transparent; direkt gefolgt von den Galizischen Hornpipes, die mit ihrem gleichzeitig melodischen und alles durchdringenden Ton jeden Bewohner am Rande der Marschroute aus der beginnenden Feierabendruhe aufschreckten. So wurde der Zug immer wieder von winkenden, lachenden und fröhlichen Menschen gesäumt und der eine und die andere schlossen sich dem Zug auch an, um weiter der Musik zu lauschen („verfolgt“ wurde der Zug von meist sehr disziplinierten AutofahrerInnen, die im Schritttempo das Geschehen beobachteten).

Das erste Jock Stewart hörte Graurheindorf aus der Gaststätte „Zum Schützenhaus“ – der Geburtsstätte des FCB (GeneralAnzeigerFeb2010). Das marschieren, singen und Kölsch trinken schwere Arbeit ist, zeigten die verschwitzten Hemden, Blusen und T-shirts nach dem ersten Kölsch – die Entlohnung der Arbeiten folgte frei nach Jock Stewart unmittelbar: „and what ere’s the cost I will pay“ sagten sich die Wirtsleute und übernahmen die Runde. Ein Ehrenplatz sei ihnen hierfür wie auch als Gründerväter und –mütter in den Gedanken aller Folkies gewiss.

Der nächste Marschabschnitt war nur kurz und so wurde das nächste Jock Stewart mit Gruppenbild im Rheindorfer Hof gesungen. In dem herrlichen Wintergarten versuchten mittlerweile ca. 35 Stimmen gegen die Pipes anzusingen, was naturgemäß den Hals austrocknen ließ. Aber die Kölsch standen bereit und diesmal nannte sich John Harrison selbst Jock Stewart und interpretierte die 6te Strophe des Liedes im Namen des Folk Clubs sehr persönlich, indem die Rechnung nicht bis zu den Konsumenten gelang.

Bald darauf wurde es ernst. Erst 30, dann noch einmal 20 Künstler nacheinander, ohne Pausen, ohne Ansagen auf zwei Bühnen zu organisieren – eine Herausforderung. Der erste Schock kam, als die Platzierungskarten und die Bühnen vertauscht wurden. Da aber jeder gute Musiker (und Folkies sind gute Musiker) improvisieren kann, war dieses Problem schnell gelöst. Die nächste Herausforderung – das Einhalten der vorgegebene 2:36 Minuten pro Lied – hatte Barry im Griff. Mit großer Uhr auf dem Laptopbildschirm könnte jeder Künstler seine Zeit überwachen, und tat er es nicht, so wurde ihm eine Erinnerung mit einem lauten Gong als Ende seines Vortrages verpasst. 

Hier alle Künstler aufzuzählen und ihren Liedern eine Kritik zu äußern, würde einen Artikel sprengen und eher ein Buch füllen; aber wer weiß, da wir ja in den Reihen der aktiven Folkies auch Schriftsteller haben… (lieber Stefan Weidt, fühle dich ruhig angesprochen einen Roman über Bonns Folkszene zu schreiben).

Die Stimmen des Publikums beschreiben den Abend als vielseitig, emotional, toll, künstlerisch und musikalisch wertvoll und unterhaltsam, der sich vor keinem 100,--€ teurem Konzert verstecken müsste.

Begonnen mit einem aus tiefster Seels entsprungenem Blues mit der Bitte an Gott dem Interpreten doch endlich einen Mercedes und einen Farbfernseher zu schenken, eröffnet John Harrison den Reigen. Janis Joplin hätte ihre Freude gehabt. Vom Blues zur galizischen Folklore – in Bonn nur ein kleiner Weg, den Eva & Manu sehr erfolgreich beschritten. Das Generationenwechsel kein Problem darstellen müssen zeigte Bob Mirabito, der sich auf einem Rollator auf die Bühne schieben ließ, sich selbst als „ich bin schon alt“ vorstellte, dann aber jugendlich aufstand und sein Lied sang. Der nächste Sprung führte zu Schubert, wobei die Forelle aus der Kehle von Ingrid mit den klappernden, Pommes beladenen Tellern des Publikums konkurrieren musste. Und sofort ging es wieder in American Folksong angehauchtes Liedgut von Winfried und Renate über. Der weitere Weg führte nach Italien, das von Paolo & Svenja besungen wurde. Auch Theatersingspiele dienten als Vorbilder, so fand sich Mackie Messer in einer sehr eigenen Interpretation von meoneo mit Lochkartenspieluhr und selbst gemalten Bildern wieder. Über eigene Kompositionen vieler Künstler, die teilweise Stilrichtungen zugeordnet werden können, teilweise eigene Stile herausbilden gelangte der Weg durch internationales Liedgut immer wieder an Lieder, die dem Publikum gut bekannt waren und sofort aufgenommen und mitgesungen wurde. Ob die Liebe zu Egon Anke zu einem musikalisch zuviel genossenen Gläschen verleitete, ob die Green Fields of France als Grabstätte des Privat Willie McBride von Janero besungen und aus dem Publikum auch mit dem deutschen Text begleitet wurden oder ob die norddeutsche Ballade „Dat du mien Leevsten büüst" in bestem Plattdeutsch mitgesungen wurde – große Zufriedenheit strahlte aus allen Gesichtern im reichlich vollen Gastraum. Leider dringen in solch emotional geladenen Stimmungen leise Töne nur schwer an das Ohr der Zuhörer – aber ein Qualitätsmaßstabes des FCB ist eben, dass –manchmal erst nach Aufforderung – zuhören und sich in die Lieder hereinversetzen für jeden wichtig ist. So hatte es Andreas Gruner zwar erst ein bisschen schwer zum Publikum durchzudringen, doch dann fesselte er mit seiner „in memorial“ Ballade für die verstorbene, langjährige Folkclub Besucherin Verena Obst doch das Publikum. 

Wie schon gesagt, es würde den Rahmen sprengen hier jeden Künstler aufzuführen und es hat auch nichts mit Highlight oder Bewertung zu tun, wenn hier Namen genannt werden – es ist eine mehr zufällige Auswahl meiner Erinnerung oder der Bezeichnungen aus dem Publikum („Der Hansjörg Schall hat sicher die schärfste Pepperonie im Hintern, so wie der mit der Musik mitgeht“). Ob John Hay, der mit seiner 10 jähigen (!) Tochter auftrat, ob Tom Kannmacher der deutsches Liedgut auf der Laute mitbrachte, ob Lothar Heinrich mit seiner swingenden Stimme oder ob Richard Limbert, extra aus Leipzig angereist – alle, alle haben den Abend zu dem gemacht was er war – ein riesen Fest der Folkies und ein Beweis, dass echte Volksmusik nicht ausstirbt, dass echte Volksmusik nicht eine Richtung ist, sondern alles, was das Volk singt – ob im Wohnzimmer, in der Schule, im Chor oder auf der Straße; ach ja, da war doch noch was. Wie wir es alle von Gerd Schinkel kennen, haben ihn die Verordnung, sich in Bonn sein Singrecht für die Straße zu erkaufen, und die aus Reihen des FCB angestoßene Street Musicains' Petition zu einem Protestlied animiert, welches er zum Gelingen des 50ten Folkclub mit Begleitung von GW Spiller vorgetragen hat.
 
Noch gar nicht erwähnt sind die rein instrumental vorgetragenen Stücke. Ganz spontan fanden sich Werner Krötz-Vogel von "meoneo" und Torsten Monnerjahn vom "Astatine" zu einem Jazzstandard (auf geliehenen Instrumenten) zusammen – die Spontaneität kam rüber, aber dass die beiden noch nie zusammen gespielt haben konnte bei diesem professionellen Vortrag niemand glauben (und doch stimmt es ). Aus dem Ukelelen Medley von Vilamor-Tatay Amor erkannte das Publikum immer wieder Lieder und sang mit (soviel zu instrumentals) – Lilly Marleen wurde so auch noch Bestandteil des FCB 50.

Das große Finale bildete – wie sollte es auch anders sein – Jock Stewart. Aus ca. 150 Kehlen inbrünstig geschmettert schaffte es eine gute Grundlage für einen beschwingten Heimweg – aber nein, eins kam dann doch noch hinzu. Der Mercedes und der Farbfernseher für John waren immer noch nicht geliefert, deshalb sangen alle nochmal gemeinsam diese Bitte an den Lord of Musicians.

Um die Überschrift aufzugreifen – auch wenn ich es nicht mehr erleben werde, wünsche ich mir und allen anderen, dass der Folkclub Bonn auch seinen 50ten Jahrestag feiern wird – aber bis 2040 werden noch sehr viele Lieder auf der einen oder anderen Bühne des Folkclubs ertönen.

Mario or is it Oiram

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